1.2. Der Lerner als Hauptakteur

Im ersten Kapitel werden einführend einige relevante Begriffe der DaF-Didaktik behandelt. Die folgenden wichtigen Fragen der gegenwärtigen didaktischen Diskussion kommen zur Sprache: Was, wer, wie wird unterrichtet und warum werden bestimmte Aktivitäten durchgeführt. In Bezug auf den Gegenstand ist man sich darüber einig, dass im Fremdsprachenunterricht nicht nur die jeweilige Fremdsprache unterrichtet wird. Sprach-, Wissens- und Strategievermittlung gehen Hand in Hand. Die Thematisierung von Lernstrategien hat an Bedeutung gewonnen. Nehmen wir als Beispiel eine Vokabellernstrategie. Die Lernpsychologie ermittelte, dass Wortformen und Bedeutungen getrennt gespeichert werden. Diese Annahme können auch wir aus Erfahrung nachvollziehen. Wir können uns ja beobachten, dass wir uns z. B. an eine Geschichte erinnern, aber sie nicht wortwörtlich wiedergeben können. Daraus lässt sich ein Strategievorschlag ableiten. Um mehrere Areale des Gehirnes beim Lernen von Vokabeln zu aktivieren, kann man folgendes ausprobieren: die Vokabeln beim Lernen zeichnen oder sich die Bedeutung der Vokabel bildlich vorstellen. Nicht nur der Begriff „Lernstrategie“ ist in der heutigen didaktischen Diskussion besonders frequent, sondern bezüglich des Lerners auch folgende Termini:

  • Binnendifferenzierung (Lernerzentriertheit, Lerngruppenorientiertheit)
  • Lernziele bewusst werden
  • autonomes Lernen (Portfoliomethode)
  • Personalisierung des Lernstoffes (Ich-Texte, Ich-Äußerungen)
  • kooperative Sozialformen

Diese Begriffe legen uns nahe, dass heute der Lerner als Hauptakteur angesehen wird. In der Didaktik wurde lange Zeit der Sprachunterricht aus der Perspektive der Sprache betrachtet. Der Unterricht war dementsprechend lernstofforientiert. In letzter Zeit rückt immer mehr die holistische Auffassung in den Mittelpunkt, dass wir zwar eine Fremdsprache aber gleichzeitig auch Menschen unterrichten, die unterschiedlichen Alters sind und nicht die gleiche Begabung haben. So ändert sich die Herangehensweise je nach Altersgruppe. Der Unterricht wird also lerngruppen- und lernerorientiert konzipiert. Betrachten wir exemplarisch die Zielgruppe Jugendliche. Für Jugendliche sind ungewöhnliche Inhalte, außergewöhnliche Texte und eine ansprechende Aufmachung des Lernstoffes reizvoll. Diese Feststellung ist durch die Erkenntnisse der Entwicklungspsychologie belegt: Jugendliche in der Pubertät sind auf Identitätssuche und wollen sich von den Erwachsenen abgrenzen. Sie sind wenig an Lerninhalten der Schule interessiert. Sie unterhalten sich gern über große Lebensfragen, wie Gerechtigkeit, Leben und Tod, Armut und Reichtum (Krenn 2007: 25). So sollten die Texte im Sprachunterricht ihren Erwartungen entsprechend ausgesucht werden. Die Lehrperson nimmt bei der Auswahl des Lernstoffes auch auf den speziellen Kontext der jeweiligen Lerngruppe Rücksicht. Fokussiert wird aber auch auf den einzelnen Lerner in der Gruppe. Es gibt personalisierte Aufgaben, in denen sich die Lerner als Personen äußern, zu Themen Stellung nehmen und einen persönlichen Zugang zur Sprache finden. Gute Beispiele zur Personalisierung des Lernstoffes sind die folgenden Aufgaben, die Deli Réka als Lehramtsstudentin im Unterrichtspraktikum erfolgreich eingesetzt hat (Babits-Mihály-Gymnasium 2010 Herbstsemester, Mentorin: Cseh Gabriella).

  1. Zum Thema „Wiedervereinigung“: Fragt euere Eltern, was sie 1989 gemacht haben?
  2. Freie Internetrecherche: Versuche durch Internetrecherche herauszufinden, was in der Welt geschehen ist, als du geboren bist (Jahr, Monat).

Die Lernpsychologie liefert Belege dafür, dass die Personalisierung der Aufgaben die Effektivität des Lernprozesses steigert, da der Lerner beim Lösen der Aufgabe mehrere Gehirnareale aktiviert und auch emotional angesprochen wird. Wie sich der Lernprozess im mentalen Lexikon des Lerners letztendlich vollzieht, wissen wir nicht genau. Eine wichtige Frage also, auf welche Art und Weise man sich eine Fremdsprache mit Erfolg aneignet, können wir immer noch nicht zufriedenstellend beantworten. Es gibt Versuche, den Lernprozess zu beschreiben und so entstehen zahlreiche Annahmen und Theorien (vgl. z. B. die behavioristische oder kontrastive Lerntheorie). Eine bekannte und weniger umstrittene Lerntheorie ist die Interlanguage-Hypothese. Sie stellt fest, dass der Lerner im Lernprozess eine „Interimsprache“ spricht. Wichtige Eigenschaften der Lernersprache sind die Folgenden:

Die Lernersprache

  • ist systematisch
  • ist dynamisch
  • ist variabel
  • macht sprunghafte Entwicklungen.


Bild 1: Sprunghafte Entwicklung der Lernersprache

Welche Rolle spielt im Lernprozess, der sich stufenweise vollzieht, der Unterricht? Es kann angenommen werden, dass Lerner die im Bild 1 dargestellten Entwicklungsstadien im Idealfall durch den Unterricht schneller durchlaufen. Inwieweit ist die lernersprachliche Entwicklung tatsächlich beeinflussbar? Diese Frage ist u.a. deshalb schwer zu beantworten, denn die Lerner sind nicht homogen, also sie weisen individuelle Unterschiede auf. Die Didaktik schlägt vor, das Problem der Heterogenität im Klassenraum durch Binnendifferenzierung zu bewältigen. Mit Binnendifferenzierung wird gemeint, dass die Lehrperson stärker auf einzelne Lernende eingeht. Einige moderne Lehrwerke helfen dabei und bieten für interessierte Lerner zusätzliche Aufgaben an. Lehrer, die die Binnendifferenzierung in der Praxis umsetzen, verwenden in der Gruppe nicht einheitlich ein Lehrbuch, sondern setzten Lehrwerke mit unterschiedlichen Niveaustufen ein. Aber auch mit einem gemeinsamen Lehrbuch können die Ergänzungsmaterialien je nach Sprachkenntnissen und Interessen der Lerner variieren. Da der Lehrende heute durch das Internet auch außerhalb der deutschsprachigen Länder zu authentischen, aktuellen Texten kommen kann, ist es möglich, je nach Interesse der Lerner verschiedene Inputtexte zu präsentieren. Entsprechende Texte im Unterricht unterstützen das Ziel des Sprachunterrichtes, über die Sprache hinaus auch enzyklopädisches Wissen zu vermitteln. Den Gegenstand der Sprachvermittlung bilden darüber hinaus auch Lernstrategien, die im Unterricht thematisiert und ausprobiert werden. Es wird vom Lerner erwartet, dass er eine gewisse Autonomie im Erwerbsprozess zeigt. Er dokumentiert seine Entwicklung z. B. durch ein Portfolio und plant weitere Schritte. Beim Spracherwerb spielen zwar individuelle Lernprozesse eine wichtige Rolle, aber es gibt immer wieder auch Aufgaben, die in der Gruppe gelöst werden. Verschiedene kooperative Sozialformen führen nicht nur zum Lernfortschritt, sondern auch zur Entwicklung der sozialen Kompetenz.