10.8. Klassifikation der Texte

Wenn wir im Alltag in L1 Texte lesen, dann haben wir in der Regel die Absicht, dem Text Informationen zu entnehmen. Dem Leser wird etwas mitgeteilt, ein Sachverhalt oder eine Ansicht. Lesen wir literarische Texte, dann geht es bekanntlich viel mehr um die Unterhaltung und um die ästhetische Funktion der Sprache. Welche Funktionen haben Texte in der Unterrichtspraxis? Warum lesen und hören wir Texte im DaF-Unterricht auf Deutsch? Eine Funktion der L2- Texte im schulischen Kontext ist zweifelsohne, dass sie als Input dienen und dadurch den Lernern sprachliche Strukturen zeigen. Die Texte ermöglichen, nicht nur den Textinhalt zu deuten, sondern auch Strukturen wahrzunehmen und zu verstehen. Wenn Lerner Texte im DaF-Unterricht lesen, haben sie in der Regel die Einstellung, Strukturen und Wörter lernen zu wollen. Für Fremdsprachenlerner ist nämlich die folgende Frage wichtig: Was kann ich am Text sprachlich lernen? Die Texte sind für sie Lerntexte, da diese eine Ansammlung von Sprachformen anbieten. Texte im DaF-Unterricht können also als Lerntexte fungieren. Vorwiegend Lerntexte setzt man in der GÜM und in der AL/AVM ein, da diese Methodenkonzepte formorientiert sind. Lerntexte in früheren Lehrwerken sind in der Regel inhaltlich nicht richtig informativ. Seit der kommunikativen Wende wird jedoch das Augenmerk auf die Fertigkeiten gerichtet. So werden Texte in der Unterrichtspraxis nicht nur als Lerntexte, sondern primär als Verstehenstexte eingesetzt. Bei einem Verstehenstext stehen Aktivitäten im Mittelpunkt, die sich auf das Verstehen inhaltlich informativer Texte beziehen. Hier geht es primär um die Informationsentnahme gelesener oder gehörter Texte.
Die Klassifikation der Texte unter didaktischem Aspekt ergibt also den Lerntext und den Verstehenstext. Ob ein Text im Unterricht als Lerntext oder als Verstehenstext eingesetzt wird, hängt zum einen vom Informationsgehalt des Textes und zum anderen von der Aufgabenstellung ab. Texte als Lerntexte werden aus didaktischen Gründen bis ins Detail erarbeitet, denn ihr Stoff soll für die aktive Sprachverwendung erarbeitet und eingeübt werden. Lerntexte bilden eine Vorstufe zur inhaltsbezogenen Kommunikation. Lesen wird dabei als Mittlertätigkeit ausgeübt, da das Ziel das Lernen und Üben ist. Lernern soll bei der Behandlung von Lerntexten bewusst gemacht werden, dass sie etwas lernen: Vokabeln lernen, ein grammatisches Phänomen lernen, Aussprache schulen, Informationen behalten. Sie lesen dabei analytisch und richten ihre Aufmerksamkeit auf die sprachliche Form.
Wenn Texte im Unterricht als Verstehenstexte eingesetzt werden, ist das Ziel, den Textinhalt zu verstehen, dem Text Informationen zu entnehmen. Verstehenstexte werden eingesetzt, um die Fertigkeit Textverstehen zu fördern. Textverstehen ist die Fähigkeit Texten Informationen zu entnehmen. Aufgaben, die das Textverstehen fördern, bereiten die Lerner auf den Umgang mit fremdsprachigen Originaltexten vor. Die Lerner sind beim Lösen der Verstehensaufgaben vorwiegend nicht Lerner sondern Leser. Es sollte ihnen bewusst gemacht werden, dass sie beim Leseverstehen die Einstellung eines Lesers einnehmen. Lesen fungiert hier als Zieltätigkeit, d. h. Informationsentnahme aus einem Text. Der Lerner als Leser liest synthetisch orientiert, ganzheitlich. Das Verstehensziel hängt von seiner Verstehensabsicht oder von der Aufgabenstellung ab
iDevice ikon Aufgabe 9
Lassen sich Lerntext und Verstehenstext klar von einander trennen?

Die Texte im Unterricht lassen sich auch nach ihrer Herkunft gruppieren. So unterscheiden wir zwischen authentischen Texten, modifizierten authentischen Texten und künstlichen Lehrbuchtexten. Authentische Texte haben den Vorteil, dass sie die Sprachrealität widerspiegeln und gut als Verstehenstexte verwendet werden können. Ein Nachteil ist jedoch, dass sie aus ihrem ursprünglichen kommunikativen Kontext herausgelöst letztendlich situativ doch nicht authentisch sind. Liest man z. B. einen früheren „authentischen" Wetterbericht, dann ist wohl die Signifikanz des Textes für den Lerner im Klassenraum fraglich. Ein weiteres Defizit ist, dass sie als Lerntexte weniger geeignet sind. Die zu übende Struktur und Vokabeln kommen in der Regel nicht häufig vor. Als Verstehenstexte sind sie jedoch für den Deutschunterricht durchaus geeignet.
Modifizierte authentische Texte sind in der Regel sprachlich vereinfacht, damit sie für die jeweilige Niveaustufe geeignet sind. Sie können das Manko der authentischen Texte nicht beheben. Sie ermöglichen eine optimale Gewichtung formorientierter und inhaltsorientierter Aktivitäten. Künstliche Texte sind zwar in der Lage als Inputtext die jeweilige Struktur zu präsentieren, sie wirken jedoch befremdend.
Die Klassifikation der Texte nach ihrer kommunikativen Funktion führt zu einer Vielfalt der Textsorten: literarische Texte, Fachtexte, Gebrauchstexte, Zeitungsartikel, Lebenslauf, Fahrplan etc.. In den gegenwärtigen Lehrbüchern ist in der Regel eine Vielfalt der Textsorten enthalten. Sie können unter dem Aspekt der äußeren Gestaltung in kontinuierliche und nicht-kontinuierliche Texte (Diagramme, Graphiken, Tabellen, Formulare, Anzeigen usw. ) untergliedert werden.