9.4.3.1. Anforderungen an Grammatikübungen

Wichtige Prinzipien der effektiven Grammatikvermittlung sind die Folgenden:
  1. Für Grammatik sensibilisieren und motivieren
  2. Grammatik integrieren, nicht isolieren: Integrative Vermittlung von Grammatik und Landeskunde, sowie Sachkenntnissen
  3. Grammatik in mehreren Schritten vermitteln
  4. Grammatikübungen müssen nicht "sinn-frei" sein, sie können auch sinnvoll sein
    • inhaltlich relevant sein
    • Bezug zur Wirklichkeit haben
    • "personalisiert" sein.
  5. Effektive Grammatikübungen sind gleichzeitig form- und inhaltsorientiert, grammatische Phänomene werden also in inhaltlich relevanten Texten geübt.
  6. "Sinn-freie" Strukturübungen in Lehrwerken und Ergänzungsmaterialien werden durch kommunikative Einschübe, durch sinnvolle Sätze, ergänzt.

Wirft man einen Blick in ein Lehrwerk oder in eine Übungsgrammatik, merkt man sehr schnell, dass obige Prinzipien nicht von allen Autoren geteilt werden. Folgendes Beispiel aus „Német gyakorlókönyv" zeigt, dass die Autorin der Auffassung ist, dass man auch mit isolierten, sinn-freien Sätzen kann:

"Sagen Sie anstatt Präsens Perfekt!

Mein Vetter wird Arzt. 2. Ihr schlaft erst um 23 Uhr ein. 3. Rita bleibt nicht lange bei uns. 4. Das Wasser dringt in die Kammer ein. 5. Im Sommer treffen Gäste oft unerwartet ein. 6. Wann erscheint dieses Buch? 7. Die Äpfel fallen vom Baum herunter. 8. Die Leute flüchten vor dem Feuer. 9. Sie folgen mir bis ins Haus. 10. Hoffentlich gelingt dir die Fahrprüfung. 11. Warum kehrt ihr schon zurück? 12. Du wächst ja tüchtig. "

(Hámoriné Szalóczi Éva (1991): Német gyakorlókönyv. Nemzeti Tankönyvkiadó. Budapest, S. 103)

Wie spannend sind obige Sätze inhaltlich? Ist es effektiv an "sinn-freien" Sätzen zu üben? Solche Sätze sind „nicht schlimm, würden viele Lehrende sagen, so lange die grammatischen Formen verstanden, gelernt und geübt werden. Offen bleibt allerdings hier, ob solche für das Gehirn widersinnige und sinnlose Sätze tatsächlich langfristig behalten und als Transfervorlage zur Verfügung stehen werden. An diesem Punkt kann man allerdings auch nachfragen: Warum sollten Lernende eigentlich solche Sätze sagen, wenn sie genau so gut Sätze 'mit Sitz im Leben' äußern könnten, also die gleichen Strukturen verwenden könnten, um 'wahre', also persönlich bedeutsame Aussagen zu machen" (Funk 2006: 162). Es ist davon auszugehen, dass die Nachhaltigkeit des Übens gesteigert wird, wenn sich der Lerner durch die Übung als Person angesprochen fühlt. Ein gutes Beispiel zur Personalisierung ist die folgende Übung:

Ich mag weiße Röcke
blaue Hemden
Ich trage gern braune
schwarze
helle
...
Hosen
Jeans
Schuhe
...
und graue
bunte
schwarze
....
Pullover
T-Shirts
Mäntel
...

So eine personenbezogene Übung im Lehrwerk kann auch noch weiter aktualisiert werden, damit der Lerner tatsächlich über sich sprechen kann. Der Lehrende ergänzt die Satzschalttafel durch moderne Kleidungsstücke, wie z. B. Hüftenhose und passt das Vokabular seiner Zielgruppe an. Die Formorientierung von Übungen kann dadurch etwas aufgelockert werden, dass die jeweilige grammatische Struktur in Texten mit Landeskundeinformationen, mit ungewöhnlichen Inhalten oder mit Fach- oder Sachkenntnissen geübt wird. So wird das rein formorientierte Üben durch inhaltsorientierte Aktivitäten ergänzt. Möchte sich die Lehrkraft vergewissern, ob die jeweilige Aktivität eher form- oder inhaltsorientiert ist, kann sie folgende Frage beantworten: Würden wir auch in der Muttersprache darüber sprechen, was wir in der Fremdsprache üben?